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Suchtförderndes Verhalten – gut gemeint ist nicht immer hilfreich

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Das soziale Umfeld spielt nicht nur bei der Entstehung von Sucht eine bedeutende Rolle, Personen im Umfeld eines süchtigen Menschen zeigen mitunter auch typische Verhaltensmuster, die die Aufrechterhaltung der Sucht begünstigen können.

In der Annahme, der/m Betroffenen zu helfen und ihr/sein Verhalten beeinflussen zu können, werden häufig Verantwortung abgenommen, Fehler ausgeglichen, Drohungen ausgesprochen, das Ausmaß des Problems nach außen verheimlicht und eigene Bedürfnisse zunehmend in den Hintergrund gestellt. Man spricht von „Co-Abhängigkeit“, seltener auch von „Co-Alkoholismus“ oder „Co-Verhalten“.

Begriffsgeschichte „Co-Abhängigkeit“

Der Begriff „Co-Abhängigkeit“ stammt ursprünglich aus Selbsthilfegruppen von Angehörigen alkoholkranker Menschen, die sich in den 1950er Jahren in den U.S.A. bildeten. In der Folge wurde der Begriff inflationär verwendet, aus einer Problembeschreibung wurde zunehmend eine eigene Diagnose „Co-Abhängigkeit“.

Uhl und Puhm (2007) empfehlen, von „suchtförderndem Verhalten“ zu sprechen, um stigmatisierende Zuschreibungen möglichst zu vermeiden.

Suchtförderndes Verhalten am Arbeitsplatz

Wenn Kolleg/innen den Substanzkonsum von Mitarbeiter/innen über lange Zeit tolerieren und Verantwortung eher abnehmen als sie einzufordern, tragen sie dazu bei, dass sich riskante Konsummuster der betroffenen Person verfestigen.  Darüber hinaus laufen sie Gefahr, sich selbst zu überfordern.

Was tun als Kollege/Kollegin?

  • Übernehmen Sie keine Mehrarbeit, die durch die sinkende Leistungsfähigkeit Ihres/r Kollegens/in entstanden ist!
  • Vertuschen Sie Fehler nicht aus falsch verstandener Solidarität!
  • Achten Sie auf Ihre eigenen Belastungsgrenzen und lassen Sie sich nicht von den Problemen anderer vereinnahmen!
  • Suchen Sie das Gespräch mit dem Kollegen/der Kollegin! Mit Formulierungen wie „Du bist mir wichtig…ich mache mir Sorgen um dich, weil…mir fällt auf, dass du in letzter Zeit…“ können eigene Wahrnehmungen mitgeteilt werden und der Einstieg in ein Gespräch gelingen. Dabei sollten keine Diagnosen gestellt oder Eingeständnisse des Gegenübers erzwungen werden.
  • Wenn sich trotz des Gespräches mit dem Kollegen/der Kollegin nichts ändert und die Situation zunehmend belastend wird, wenden Sie sich an Ihre Vorgesetzten. Thema sollten die Veränderungen im Arbeitsverhalten und der Leistung des Kollegens/der Kollegin und die daraus resultierenden Belastungen für Sie sein. Der Zusammenhang mit übermäßigem Substanzkonsum kann hergestellt werden und ist eventuell ohnehin schon bekannt.
  • Wenn Kolleg/innen unter akutem Substanzeinfluss zum Dienst kommen, wenden Sie sich ebenso an Ihre Führungskraft. Arbeitnehmer/innen, die sich selbst oder andere gefährden, müssen vom Arbeitsplatz verwiesen werden.

Was tun als Führungskraft?

  • Signalisieren Sie ehrliches Interesse am Wohlergehen Ihrer Mitarbeiter/innen und seien Sie wachsam für Belastungssignale im Team!
  • Decken Sie das Fehlverhalten riskant konsumierender Beschäftigter nicht durch besonderes Entgegenkommen wie z.B. nachträgliches Umwandeln von Fehlzeiten in Urlaubstage.
  • Führen Sie frühzeitig strukturierte Gespräche mit auffälligen Mitarbeiter/innen, die das Einfordern einer Verhaltenskorrektur mit Hilfeangeboten kombinieren und entlang eines „Stufenplanes“ laufend an Verbindlichkeit und Öffentlichkeit zunehmen. Viele Unternehmen regeln solche Stufenpläne in einer Betriebsvereinbarung.

Phasen von suchtförderndem Verhalten

Wenn nicht bewusst gegengesteuert wird, kommt es erfahrungsgemäß zum typischen Phasenverlauf von suchtförderndem Verhalten, der sich meist über viele Jahre erstreckt.

In der „Beschützerphase“ werden Fehler entschuldigt, Belastungen abgenommen, die Situation verharmlost. Man zeigt Verständnis für den/die konsumierende/n Kollegen/in.

In der „Kontrollphase“ wird für den/die Betroffene/n nach Lösungen gesucht, es werden Situationen vermieden, die den Konsum z.B. von Alkohol nahelegen und es wird versucht, das Verhalten des/der Betroffenen zu kontrollieren.

In der „Anklagephase“ ist kaum mehr Verständnis vorhanden. Es kommt zu Vorwürfen und offener Aggression. Nun ist es nur mehr schwer möglich, zu konstruktiven Lösungen zu kommen. Die Situation ist verfahren, die Kolleg/inn/en sind meist nicht mehr bereit, mit der betroffenen Person zusammen zu arbeiten. Häufig kommt es dann zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen.

Bedenkt man, dass sich das Umfeld oft trotz guter Absicht suchtfördernd verhält, wird die Wichtigkeit einer nachhaltig verankerten Suchtpräventionsstrategie und Frühinterventionskultur in Unternehmen deutlich. Je offener das Thema bearbeitet wird, desto geringer ist das Risiko von nicht hilfreichem Verhalten von Kolleg/innen und desto eher wird dem Tabuthema Sucht die Bedrohlichkeit genommen.

 Link-Tipps

Handlungsempfehlungen und hilfreiche Videos für Mitarbeiter/innen und Führungskräfte

Beratungsstellen in Oberösterreich, an die sich auch Angehörige, Kolleg/innen und Vorgesetzte wenden können

http://www.co-abhaengig.de Seite für Angehörige von suchtkranken Menschen

Weiterführende Literatur:

Alfred Uhl, Alexandra Puhm: Co-Abhängigkeit – ein hilfreiches Konzept? In: Wiener Zeitschrift für Suchtforschung, 30, 13–20, 2007

Bindung-Beziehung-Co-Abhängigkeit. Grüner Kreis Magazin Nr. 96, 2015, S. 20

Foto: Geralt/pixabay