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Hirndoping am Arbeitsplatz – Es geht ums Funktionieren

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Doping ist nicht zuletzt wegen der Fälle bei der nordischen Ski-WM in Seefeld wieder in aller Munde. In einem Umfeld, in dem es um kontinuierliche Höchstleistungen geht und das von harter Konkurrenz geprägt ist, liegt der Griff zu leistungssteigernden Substanzen nahe. Auch im Arbeitsleben scheinen vielerorts Arbeitsdichte und Druck zuzunehmen und es überrascht nicht, dass es auch hier Versuche gibt, die eigene Performance zu steigern (Doping als Wettbewerbsvorteil) bzw. dem enormen Druck standzuhalten (Coping).

Bei den Sport-Dopingfällen in Seefeld paarte sich öffentlich kundgetane Entrüstung von scheinbar ahnungslosen Funktionären mit großer Härte gegen die betroffenen Sportler.
Es ist anzunehmen, dass substanzunterstützte Leistungssteigerung auch in vielen Unternehmen zumindest ambivalent gesehen wird. Eine Leistungssteigerung wird natürlich gerne gesehen,  aber wie sie erreicht wird, sollte vielleicht nicht unbedingt öffentlich werden. Man muss  kein Befürworter/in von Doping sein, um sich einen anderen, möglicherweise provokanten Gedanken zu erlauben: (Hirn)doping ist weniger das Problem, sondern vielmehr ein Symptom unserer hochkompetitiven Gesellschaft. Ein perfides Spiel, in dem die konkreten Leistungserbringer austauschbar sind.

Was ist Hirndoping?

Mit dem Begriff „Hirndoping“ oder auch „pharmakologisches Neuro-Enhancement“ wird die Einnahme psychisch aktiver Substanzen durch Gesunde, mit dem Ziel der geistigen Leistungssteigerung und der Verbesserung der sozialen und emotionalen Kompetenz, bezeichnet. Dabei werden rezeptpflichtige Medikamente außerhalb ihrer zugelassenen Indikation verwendet. Zu den bekanntesten missbrauchten Substanzen zählen die Stimulanzien Methylphenidat (bekannt als „Ritalin“, das Menschen mit ADHS verschrieben wird) oder auch Modafinil (Handelsname „Vigil“ zur Therapie der sogenannten Schlafkrankheit). Sie sollen die Aufmerksamkeit, Wachheit und Konzentration steigern. Antidementiva und Antidepressiva werden hingegen zur Verbesserung der Gedächtnisleistung und der Verbesserung des psychischen Wohlbefindens angewendet. Frei verkäufliche Mittel wie Koffeintabletten, Guaraná, Gingseng u.ä. spielen keine bedeutende Rolle. Hingegen ist anzunehmen, dass illegale Substanzen wie Speed und  Kokain ebenso gezielt zur Leistungssteigerung und Stimmungsaufhellung konsumiert werden wie Medikamente.

Das Ausmaß von Hirndoping ist aufgrund fehlender Studien schwer einzuschätzen. Eine internationale online-Umfrage des Wissensmagazins Nature zeigte, dass 20 Prozent der befragten Akademiker bereits Medikamente ohne medizinische Indikation, zur Leistungssteigerung eingenommen haben.  Laut dem deutschen DAK-Gesundheitsreport 2015 haben 7 Prozent der Erwerbstätigen wenigstens einmal im Leben Hirndoping mithilfe von Medikamenten betrieben und 2 Prozent geben an, regelmäßige Konsumenten zu sein. Die geschätzte Dunkelziffer liegt jeweils deutlich höher, die Tendenz ist steigend. Meistens werden die Medikamente mit einem vom Arzt ausgestellten Rezept bezogen, wobei nicht immer eine entsprechende Erkrankung zugrunde liegt. Angesichts des rasanten Anstiegs bei der Verschreibung von Psychopharmaka in den letzten Jahren, ist anzunehmen, dass auch der nicht bestimmungsgemäße Gebrauch dieser Medikamente gestiegen ist.

Über 80 Prozent der befragten Erwerbstätigen lehnen Hirndoping grundsätzlich ab, etwa 10 Prozent sind prinzipiell dafür aufgeschlossen. Letztere definieren als vertretbare Gründe für Hirndoping die Steigerung der Leistungsfähigkeit bei bestimmten Anlässen, das Bekämpfen von Nervosität und Lampenfieber oder die Bewältigung von Stress und wären bei vertretbaren Nebenwirkungen bereit, auf Medikamente zurück zu greifen.

Hirndoping ist also kein weit verbreitetes Phänomen, es ist jedoch laut DAK-Gesundheitsreport davon auszugehen, dass es einen harten Kern von 2-3,5 Prozent aktueller und regelmäßiger Konsument/innen gibt. Diese sind übrigens nicht wie landläufig angenommen primär Top-Manager und Kreative, sondern v.a. auch Beschäftigte mit einfachen Tätigkeiten und unsicheren Jobs.

Da gibt es den Produktionsmitarbeiter, der sich mit Stimulanzien für die Nachtschicht dopt, um auch um 4 Uhr Früh noch leistungsfähig und konzentriert zu sein.

Oder den Selbständigen, der sich zu Spitzenzeiten mit Kokain behilft, um keine Aufträge ablehnen zu müssen und den flow aufrecht zu erhalten, den er bei seiner Arbeit immer wieder verspürt.

Oder den Familienvater, der seit einem Karrieresprung gelegentlich Amphetamine nimmt, um das enorme Arbeitspensum zu bewältigen und dabei die Balance zwischen Arbeit und Familie einigermaßen halten zu können.

Ein Phänomen – viele Deutungsweisen


Zu vermeidendes Risiko? Die deutsche Hauptstelle für Suchtgefahren betont, dass es zahlreiche unerwünschte Nebenwirkungen des Hirndopings gibt, dass die Wirkung von Substanzen, die zum Hirndoping verwendet werden, oft deutlich hinter den Erwartungen zurück- oder gar ausbleibt (v.a. Antidepressiva und Antidementiva) und dass ein hohes Risiko für psychische Abhängigkeit von Stimulanzien besteht.

Sie rät daher grundsätzlich von der nicht indizierten Einnahme verschreibungspflichtiger Substanzen ab und schlägt folgende Alternativen zur Steigerung der kognitiven Leistungsfähigkeit sowie des emotionalen und sozialen Wohlbefindens vor: ausreichend Schlaf, Entspannungsmethoden, Gedächtnistraining, regelmäßige kurze Pausen, gutes Zeitmanagement, Selbstwahrnehmungstrainings, Sport, Pflege von Sozialkontakten, Coaching…

In einer sich verdichtenden Leistungsgesellschaft sind freilich den individuellen Entlastungs-, Anpassungs- und Ausweichstrategien enge Grenzen gesetzt und es braucht auch ein Gegensteuern auf gesellschaftspolitischer (z.B. Arbeitszeitgesetz) und betrieblicher Ebene (Stichwort interessierte Selbstgefährdung in Zeiten zunehmender Selbstorganisation in Unternehmen).

Mögliche Bewältigungsstrategie? Es gibt keinen Freibrief für risikoarmen Konsum irgendeiner psychoaktiven Substanz. Mit Blick auf Erfahrungsberichte scheint es aber denkbar, dass ein zeitlich befristeter, moderater Konsum von Stimulanzien, in einem stabilem Umfeld, kombiniert mit hohem Reflexionsvermögen und gegebenenfalls Begleitung von professionellen Suchtberatungsstellen eine Bewältigungsstrategie für Stresssituationen darstellen kann. Zumindest gilt es im Einzelfall abzuwägen, was das geringere Übel ist. Mittelfristig müssen natürlich Belastungen reguliert werden, ansonsten ist ein Zusammenbruch z.B. in Form eines Burnouts vorprogrammiert.

Präventive Ansätze:

  • Es braucht gesellschaftlich eine offene und emotionslose Diskussion über Chancen und Risiken von Hirndoping-Substanzen.
  • Fundiertes Wissen über Wirkungen und Nebenwirkungen ist notwendig, um eine verantwortliche Entscheidung treffen zu können.
  • Konsument/innen sollten ihren Konsum regelmäßig dokumentieren und reflektieren.
  • Im Zweifelsfall ist es ratsam, den eigenen Konsum auch mit Suchtberatern zu besprechen.
  • Es ist Aufgabe der Suchtprävention, auf gesellschaftliche Entwicklungen hinzuweisen, die den Missbrauch von Substanzen begünstigen.

„Langfristig gibt es bei regelmäßigem Gebrauch immer gesundheitliche Risiken. Darüber hinaus ist die Nutzung von Neuroenhancern potentiell ein Einstieg in eine Leistungssteigerungsspirale, die auch unabhängig von körperlichen Nebenwirkungen schädlich ist, weil sie die Lebenszufriedenheit verringert. Es werden gesamtgesellschaftliche Anforderungen (z.B. effizientere und kostengünstigere Arbeitsabläufe) an den Einzelnen weitergegeben,statt sie an den Bedürfnissen der Menschen auszurichten.“
PD Dr. Joachim Boldt, Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, zitiert nach DAK-Gesundheitsreport 2015, S. 124


Quellen und weiterführende Informationen:
Vom Coping zum Doping. Selbstoptimierung und Neuroenhancement in Zeiten der Krise.

in: fortyfour, das Präventionsmagazin, Ausgabe 21

Hirndoping. Positionspapier der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS) . 2011:
http://www.dhs.de/fileadmin/user_upload/pdf/news/2011-06-20_Positionspapier_Hirndoping.pdf
DAK-Gesundheitsreport 2015. Schwerpunktthema pharmakologisches Neuroenhancement:https://www.dak.de/dak/bundesthemen/gesundheitsreport-2015-2109048.html

ManagerMagazin: Warum Führungskräfte zu Drogen greifen

Suchtberatungsstellen:

www.praevention.at/help

https://www.sucht-promenteooe.at/standorte/

Text: Rosmarie Kranewitter-Wagner, Institut Suchtprävention Linz

Foto: Pixabay.com